„Darmstadt hat sich wunderbar entwickelt!“

Vinocentral am Hauptbahnhof feiert großes Jubiläum

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© Klaus Mai


25 Jahre Vinocentral – das ist auch ein Vierteljahrhundert im Leben seiner Macher Michael Bode-Böckenhauer und Alexander Marschall, die neben dem Betrieb ihres angesagten Ladenlokals ein Stück Darmstädter Stadtkulturgeschichte mitgeschrieben haben.



FRIZZmag: Bereits seit 1989 seid Ihr Geschäftspartner. Euer halbes Leben sozusagen. Wie habt Ihr Euch kennengelernt?


Michael Bode-Böckenhauer: Alex hatte damals Architektur studiert und ich war viel mit den Architekten unterwegs. So sind wir uns irgendwann über den Weg gelaufen. Alex hatte bereits vorher Projekte an der TU auf den Weg gebracht wie die „Papierhandlung Blumenstein“. Und einige Zeit später hat er dann das spätere Cafékesselhaus entdeckt.

Alexander Marschall: Beim Preopening-Fest auf der Kesselhaus-Baustelle hat sich Michi dann einfach hinter die Bar gestellt und mitgemacht. Und dann fortan so viel gearbeitet, dass wir ihn quasi zum Partner machen mussten (lacht).


Wie kam es eigentlich zur Idee, das Cafékesselhaus zu eröffnen?


Alexander: Die ganze Zeit über fehlte uns eigentlich immer für unsere Unternehmungen die Liquidität. Das war auch bei besagter Papierhandlung Blumenstein so. Wir brauchten Geld, um mehr Waren einkaufen und unser Angebot erweitern zu können. Wir stellten uns vor, dass so ein Café eigentlich eine recht einfache und gute Möglichkeit sein könnte, dieses Geld zu verdienen.

Michael: Natürlich gab es keinen Businessplan oder ein Finanzierungskonzept. Das Café befand sich ja in einem Sanierungsgebiet. Weiter als zwei Jahre haben wir da nicht in die Zukunft gedacht. Das alles lief einfach nach Gefühl. Keiner von uns konnte ein Bier zapfen. Aber wir hatten sehr schnell die richtigen Leute zusammen.


Schon früh waren Kulturveranstaltungen fester Bestandteil des Cafékesselhaus. Ihr habt dabei nicht nur auf bekannte Größen gesetzt, sondern auch interessanten neuen Bands und Künstlern eine Bühne gegeben.


Michael: Das fing mit Live-Jazz an, immer sonntags zum Frühstück. Und natürlich war das ganze Umfeld dort, die Ateliers und die Künstler*innen immer sehr inspirierend. Wir konnten da eigentlich alles machen: Konzerte, Modenschauen, auch das erste Public Viewing fand bei uns statt. Allerdings machte uns die damals noch geltende Sperrstunde ziemlich zu schaffen. Um 1 Uhr musste Feierabend sein. Das war bitter. Die Konsequenz daraus war dann die Gründung des Hillstreet Clubs, den wir als Verein gegründet hatten, um somit die Sperrstunde umgehen zu können.

Alexander: Und die Gewinne aus den Hillstreet-Einnahmen finanzierten dann die mitunter defizitären Kulturveranstaltung im Cafékesselhaus.

Michael: An staatliche und städtische Förderung hatten wir damals gar nicht gedacht.


Bei der Wahl eurer Geschäftsstandorte habt Ihr stets ein gutes Gespür und Weitsicht bewiesen: 1993 folgte die Eröffnung des Vinocentral am Hauptbahnhof. Heute eine überaus angesagte Ecke, damals aber war das keine gute Gegend.


Michael: Das war eher ein Unort, stimmt. Aber die Auswahl unserer Standorte erfolgte immer schon aus dem Bauch heraus. Wir wussten nicht, dass sich das hier so entwickeln wird, denn damals war das tatsächlich noch nicht abzusehen. Wir hatten auch gleich mit unserem Nachbarn vom Goldenen Fass, einer Bierkneipe, Probleme. Der hatte gleich mal gegen unser Café sein Veto eingelegt, weil ihm eine weitere Gastronomie im gleichen Gebäude gar nicht gepasst hat. Also mussten wir umdenken und haben das Vinocentral als Handelsgeschäft für Kaffeemaschinen und Gastronomiebedarf mit kleiner Weinabteilung gestartet. Über die Jahre hat sich das dann immer weiter entwickelt und das Umfeld ebenso.


Und dann kam die Centralstation…


Alexander: Mein Bruder in München kannte einen Architekten aus Darmstadt und der fragte bei ihm nach, ob er denn verwandt sei mit dem Marschall, „der da so verrückte Sachen in Darmstadt macht“. So kam kurioserweise über Umwege der Kontakt zur Stadt zustande, aus der letztendlich die Anfrage resultierte, ein Konzept für einen Kulturbetrieb in den damals leerstehenden Heag-Hallen vorzulegen, nachdem Johnny Klinke vom Frankfurter Tigerpalast abgesprungen war.

Michael: Man entschied sich bei der Stadt schließlich für unser Konzept der Centralstation. Und der Start dort verlief dann recht reibungslos, da die Centralstation kurz vor der Schließung des Cafékesselhauses öffnete und wir gleich mit einem Großteil unserer erfahrenen Mitarbeiter aus dem Kesselhaus und dem Weststadtcafé starten konnten.


© Klaus Mai



Mit der Centralstation habt ihr 1999 direkt auf sehr hohem künstlerischen Niveau vorgelegt. Künstler wie Moby, Public Enemy oder Paul Weller kamen zu Besuch und haben Darmstadt innerhalb kurzer Zeit als Hotspot für Konzertfans aus dem ganzen Rhein-Main-Neckar-Raum gesetzt.


Alexander: Das ist direkt durch die Decke gegangen, stimmt. Die Akzeptanz für dieses hochwertige Programm war von Anfang an da, aber schwer finanzierbar. Irgendwann sind wir den Zuschüssen immer hinterhergelaufen.

Michael: Wir konnten die Stadt auch viele Jahre von der Qualität dieses Programms überzeugen. Aber wir standen auch dauerhaft im Wettbewerb mit anderen subventionierten Kulturbetrieben wie dem Schlachthof in Wiesbaden oder dem Heidelberger Karlstorbahnhof. Auf Dauer war das schwer zu stemmen.


Im Laufe der vergangenen 30 Jahre habt Ihr die Darmstädter Gastronomie- und Kulturlandschaft entscheidend mitgeprägt. Wie hat sich Darmstadt in diesen Jahren verändert?


Michael: Die Stadt ist heute eine völlig andere. Darmstadt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer eher biederen Beamtenstadt in eine moderne, urbane, weltoffene und kulturaffine Stadt entwickelt. Man merkt, dass die Stadt lebt und dass hier viel passiert. Früher ist man von Unifest zu Unifest und sonst passierte hier nicht viel. Darmstadt hat auf jeden Fall einen großen Schritt nach vorne gemacht und sich wunderbar entwickelt. Aber wir haben uns auch verändert und in jeder Altersphase die für uns entsprechende Gastronomie geführt. Alles hat seine Zeit. Ich könnte mir heute nicht mehr vorstellen, einen Club zu betreiben (lacht).


Um nochmal auf Euer aktuelles Geschäft zu kommen: das gastronomische Vorbild des Vinocentrals sind die klassischen italienischen Caffè- und Wein-Bars. Ganz so stil- und geschmackbewusst waren die Heiner vor 25 Jahren meines Wissens noch nicht. Inwieweit hat sich das in den vergangenen Jahren geändert? Wer kauft bei Euch bzw. ist bei Euch zu Gast? 


Michael: Es ganz schön, dass man das gar nicht so klassifizieren kann. Von den Leuten, die hierher kommen, kenne ich vielleicht fünf Prozent. Das „Vinocentral“ wird nicht von einer bestimmten Szene in Beschlag genommen, und die Kombination aus Laden und Gastronomie scheint sehr viele unterschiedliche Leute anzusprechen. Viele Gäste kaufen hier ihren Wein und Feinkost ein, andere kommen zum Mittagessen, andere trinken morgens ihren Kaffee.


Die Qualität Eurer Produkte und die exzellente Auswahl haben sich weit über die Grenzen der Stadt hinaus herumgesprochen. Was nicht folgenlos blieb: Der Feinschmecker zählt euch seit 2016 zu den besten Weinbars, im selben Jahr kürte das renommierte Fachjournal Weinwirtschaft das vinocentral zum Weinhändler des Jahres 2017. Was sicher auch der Kompetenz Eures internationalen Teams geschuldet ist. Welchen Anteil am Erfolg des Vinocentral haben die Mitarbeiter?


Michael: Einen sehr großen. Wir arbeiten hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus verschiedenen Ländern zusammen. Das sind ganz unterschiedliche Charaktere mit ganz individuellen Fähigkeiten und das ist auch gut so. Dieses Uniforme, Glattgebügelte ist einfach nicht unser Ding. Und wir haben da einen ganz wunderbaren Mix an Leuten mittlerweile, finde ich.

Alexander: Gleiches gilt auch für unsere Partner. Den Weinhandel aufzubauen, war eine langwierige Arbeit, die sich aber nun auszahlt, denn wir haben exzellente Kontakte zu zahlreichen, hervorragenden Winzer*innen.

Michael: Die vor allem nachhaltig arbeiten. Die Nachhaltigkeit unserer Produkte ist ein wichtiges Thema für uns. Früher haben wir angesagte DJs gesucht, heute suchen wir nach natürlichen Lebensmitteln.


Dieses Jahr feiert ihr nun 25-Jähriges mit einem großen Fest am 25. August. Was wird die Gratulanten erwarten?


Michael: Wir freuen uns sehr, dass viele unserer Winzer*innen im Rahmen einer Jubiläumsverkostung zu Gast sein und ihre Weine persönlich vorstellen werden. Das Thema Wein liegt uns sehr am Herzen, denn in dieses haben wir vor allem in den vergangenen vier Jahren sehr viel von uns reingegeben. Ich weiß gar nicht, wie viele Weingüter wir besucht und wie viel tausend Weine wir im Team verkostet haben. Diese Jubiläumsverkostung wird sozusagen die Essenz dieser Arbeit vorstellen. Und abends wird es dann ein tolles Live-Jazz-Special unserer Punto Jazz-Reihe, die bereits seit acht Jahren regelmäßig bei uns stattfindet, geben. Da freuen wir uns ebenfalls schon sehr drauf.


Ein Attribut, das sehr gut zum Vinocentral passt, ist gediegen. Feine Weine, kulinarische Spezialitäten, erlesene Kaffees und Jazzabende - ihr scheint das gastromische Konzept ein Stück weit Eurem Alter angepasst zu haben. Ist das Vinocentral Euer Laden zum Älterwerden?


Michael: Ich denke schon. Ich verbringe hier ja mehr Zeit als zuhause und mit dem Alter möchte man sich an dem Ort, an dem man arbeitet, auch wohlfühlen. Und das ist hier im Vinocentral definitiv der Fall. Und auch die angesprochene Punto Jazz-Reihe: Das ist einfach auch unser Sound mittlerweile und passt hier sehr gut rein. Man kann nur mit vollen Einsatz etwas betreiben, was einem selbst auch zu hundert Prozent entspricht und gefällt. Das Vinocentral ist genau das richtige Projekt zur richtigen Zeit. Mittlerweile mehr denn je.

Vielen Dank für das Gespräch.


Weitere Informationen:

„25 Jahre Vinocentral“ mit großer Jubiläums-Weinverkostung & „Best of Punto Jazz“
Sa., 25.8., ab 11 Uhr, Vinocentral, Platz der Deutschen Einheit am Hauptbahnhof, Darmstadt 

www.vinocentral.de
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