© Andy Siddens
Midge Ure
80s Legende Midge Ure live
Midge Ure gehörte zu den erfolgreichsten Songwritern der 80er Jahre. Mit Bands und Projekten wie Visage, Ultravox oder Band Aid und Hits wie „Fade To Grey“, „Vienna“ oder „Do They Know It’s Christmas?“ prägte er den Pop-Sound einer ganzen Dekade entscheidend mit. Ende der 80er trennte sich der Schotte von seiner Stammformation, um eine erfolgreiche Solokarriere zu starten. Nachdem es in den vergangenen Jahren etwas ruhiger um Midge Ure wurde, meldete er sich 2008 mit Ultravox auf den Bühnen dieser Welt zurück und präsentiert aktuell seine großen Hits mit Band live auf Tournee. FRIZZ Redakteur Benjamin Metz traf Midge Ure zum Interview und sprach mit ihm über die Reunion von Ultravox, die 80er Jahre und die Planbarkeit von Hits.
FRIZZ: Paul Mc Cartney hat einmal gesagt: „Einen guten Song erkennt man daran, dass er auch auf seine minimalste Grundstruktur reduziert seine Wirkung entfalten kann." Entspricht diese Aussage auch dem Wunsch, deine Hits mal in einem ganz puren akustischen Gewand zu präsentieren? Die Originale waren ja ganz im Sinne der 80s produktionstechnisch eher opulent angelegt.
Midge Ure: Wenn man Konzerte in diesem reduzierten Rahmen spielt, muss man seine Songs mit Bedacht auswählen. Nicht unbedingt der Song mit dem meisten Applaus funktioniert da am Besten, deswegen lasse ich nicht selten Songs aus der Ultravox Zeit bei diesen Show weg. Einfach, weil die Nummern doch sehr von ihrer Produktion leben. „Reap the wild wind“ zum Beispiel ist zur Hälfte rein instrumental und hat diese großen Soundlandschaften. Das könnte man zwar auch auf einer Akustikgitarre umsetzen, aber hat das wirklich noch den gleichen Effekt? Ich denke, da muss ich Mr. McCartney doch zum Teil widersprechen (lacht). Allerdings ist an seiner Aussage schon was dran. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie gut Songs wie „Vienna“, „Dancing With Tears in My Eyes“ oder „If I Was“ bei diesen Akustik-Shows funktionieren.
FRIZZ: 2008 hast du dich mit deinen Kollegen von Ultravox wiedervereinigt und diverse erfolgreiche Shows gespielt. Allerdings hattest du vor den Konzerten ein neues Studioalbum mit der Band ausgeschlossen. Im Frühjahr 2012 erschien mit „Brillant“ dann doch ein neues Werk. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Midge Ure: Ich denke, Musiker sind im Grunde recht simpel gestrickt. Du gibst uns etwas, das wir gerne tun und wir wollen es automatisch noch öfter tun und natürlich noch besser und größer. So war das im Grunde auch mit dieser Reunion-Tour. Wir hätten damals allerdings im Traum nicht an ein neues Album gedacht. Ich meine, wir waren 25 Jahre getrennt. Das ist fünfmal länger als die Band damals überhaupt bestanden hat. Und es wäre auch verwegen zu glauben, dass vier Individuen nach so einer langen Zeit zusammenkommen und sofort wieder als eine Einheit funktionieren können. Aber es funktionierte wunderbar. Irgendwann trat dann Universal mit der Idee an uns heran, ein neues Album aufzunehmen. Allerdings gestaltete sich das zum Teil recht schwierig, weil drei von uns vieren auf unterschiedlichen Kontinenten leben. Logistisch war die Vorstellung also eher der Horror (lacht). Aber als wir das „wie“ geklärt hatten, war auch klar, dass wir es machen würden. Allerdings hatte Universal eine andere Vorstellung von einem Ultravox-Album, sodass wir uns schließlich entschieden, die Produktion komplett in Eigenregie zu stemmen.
FRIZZ: „U-Vox“, euer letztes Bandalbum von 1988, war kein wirklicher Erfolg und ein eher mauer Abschluss eurer außerordentlichen Karriere. „Brillant“ scheint dieses letzte musikalische Lebenszeichen der Band korrigieren zu wollen. Wie siehst du das?
Midge Ure: Als wir das “U-Vox” Album aufnahmen, waren wir eigentlich schon dabei uns aufzulösen. Wir hatten das nur noch nicht richtig wahrgenommen. Ich hatte diese ganze Arbeit mit Live Aid und meinem Soloalbum, was mich sehr von der Band weggeführt hatte. Aber auch die anderen hatten sich weiterbewegt und –entwickelt. Als wir zusammen ins Studio gingen, wussten wir eigentlich gar nicht mehr genau, wo Ultravox steht, bzw. wo wir mit Ultravox hinwollten. Die Zeiten hatten sich geändert und auch die Musik hatte sich geändert. Dancemusik war schwer im Kommen, Elektronik war im Kommen. Aber wir hatten da einfach keine Lust drauf aber auch keine andere Antwort. Wir waren verloren, irgendwie. Wenn wir jetzt noch mal zurückgehen und das Album noch mal machen könnten, würden wir das wohl tun. Vor allem auch, weil Warren (Cann, Ultravox Drummer. Anm. d. Red.) damals schon aus der Band draußen war. Natürlich geht das nicht aber „Brillant“ ist in der Tat eine schöne Möglichkeit gewesen, gewissermaßen zurückzugehen und ein neues Zeichen zu setzen. Und das war gut, denn die Ultravox-Fans lieben das Album. Und wir haben auf jeden Fall die Erkenntnis gewonnen, dass wir nie wieder etwas veröffentlichen werden, hinter dem wir nicht 100%ig stehen können.
FRIZZ: Euer letztes gemeinsames Konzert mit Ultravox hattet ihr vor 60.000 Leuten in der Londoner Wembley Arena beim legendären Live Aid-Festival, das du gemeinsam mit Bob Geldof organisiert hattest. Für andere Bands wie Simple Minds oder U2 war Live Aid der Auftakt zu einer Weltkarriere, für euch der Anfang vom Ende. Klingt ironisch, oder? U2 gelten heute als „größte Band der Welt“.
Midge Ure: U2 haben einfach den Moment perfekt abgepasst. Sie waren großartig an diesem Tag und sie wussten genau, welche enormen Auswirkungen eine gute Show bei Live Aid auf ihre Karriere haben kann. Sie haben der Welt gezeigt, was sie draufhaben, keine Frage. Aber man kann so etwas nur bedingt beeinflussen. Ich kann die Leute nicht zwingen, meine Sachen zu lieben. Deswegen mache ich es so, wie es mir gefällt und hoffe, dass auch andere Leute Gefallen daran finden. Und manchmal ist dann auch Glück dabei. Wenn das Glück auf deiner Seite ist, können unglaubliche Dinge passieren! Ich weiß noch, wie ich „Breathe“ veröffentlicht habe, und es war die am schlechtesten verkaufte Platte meiner Karriere. Dann kam eine gute Portion Glück ins Spiel, Swatch nahm den Song für einen Werbeclip und zwei Jahre nach der Veröffentlichung wurde „Breathe“ dann einer meiner größten Hits. Das ist irrwitzig, wenn man bedenkt, dass es doch genau das gleiche Stück Musik war und auch mich kein bisschen verändert hatte. Aber so ist das – eben bist du noch der Loser und im nächsten Moment ein Gewinner. Das Publikum entscheidet… und nicht selten auch etwas Glück.
FRIZZ: Viele Leute wissen gar nicht, welche Rolle du bei Live Aid gespielt hast. „Do They Know It’s Christmas?“ hast du gemeinsam mit Bob Geldof geschrieben und du hast einen großen Teil der Organisation im Hintergrund gemanagt. Hättest Du jemals gedacht, dass aus diesem einen Song ein solches pophistorisches Ereignis werden könnte?
Midge Ure: Nein, überhaupt nicht. Natürlich hatten wir ganz nüchtern kalkuliert. Wir wollten ja möglichst viel Geld für die Aktion zusammenbekommen. Und der beste Weg dahin war ein Weihnachtshit. In den Charts passier in dieser Zeit traditionell nicht viel. Wenn es dein Songs also nach ganz oben schafft, dann bleibt er da auch erstmal über die Feiertage und mit etwas Glück auch bis zum neuen Jahr und ist so natürlich länger präsent. Außerdem kaufen natürlich die ganzen Eltern und Großeltern ihren Kids und Enkeln gerne auch mal eine CD und nehmen da natürlich gerne auch „den Hit“. Also waren die Verkäufe für die Single entsprechend riesig. Aber weiter haben wir nicht gedacht. Wir dachten, dass die Single noch ein paar Wochen gut laufen könnte, und das wäre es dann. Und jetzt läuft der Song schon seit 26 Jahren jedes Jahr sehr erfolgreich an Weihnachten und verkauft immer noch ordentlich und Live Aid bekommt Jahr für Jahr ordentliche Einnahmen. Wir hätten aber wirklich im Leben nicht gedacht, dass der Song soviel lostreten würde. Nach „Do They Know It’s Christmas?“ und Live Aid wurden Charity-Geschichten ja überhaupt erst größer ins Bewusstsein der Popmusik gerückt. Bis dahin galten Charity-Aktionen eher als uncool und Angelegenheit alter Leute.
FRIZZ: Dein Karriere liest sich rückblickend wie ein einziger Superlativ: Erster Nummer 1 Hit mit 22, anschließend warst Du als Gitarrist für die Sex Pistols im Gespräch, hast aber lieber bei Thin Lizzy ausgeholfen und mit Glen Matlock von den Pistols bei den Rich Kids gespielt. Es folgte die Gründung von Visage, der Welthit „Fade To Grey“ und dann Ultravox, eine überaus erfolgreiche Solokarriere und letztlich zahlreiche Orden- und Ehrenauszeichnungen. Die Queen hat dich sogar zum OBE geadelt. Was empfindest du, wenn du so auf deine Karriere zurückblickst?
Midge Ure: Was soll ich sagen? Ich bin natürlich unglaublich glücklich! Ich bin glücklich, dass ich die Möglichkeit, das Privileg habe, all diese Dinge zu tun, diese Musik zu schreiben und auch noch erfolgreich damit zu sein. Dass ich keinen 0815 Job machen muss. Es ist schon merkwürdig, dass ich mit meiner Musik so erfolgreich bin, denn ich habe mich eigentlich immer wieder neu orientiert. Ein Journalist nannte mich mal ein „musikalisches Flittchen“, weil ich dauernd zwischen den Genres umherspringe – von Pop zu Punk, zu Heavyrock und Elektronik und so weiter. Ich sehe das wesentlich differenzierter. Von meiner ersten Band Slik zu den Rich Kids war es eigentlich ein logischer Schritt. Später hörte ich viel Musik aus Deutschland und die war damals sehr elektronisch, insofern war der Schritt zu Visage und Ultravox nur konsequent. Aber natürlich habe ich mich nicht irgendwann hingesetzt und überlegt: „Ah, 1978 sollte ich mal in London was elektronisches machen und dann vielleicht später das Ganze mit Rock kombinieren“ – solche Sachen kann man einfach nicht planen. Die Dinge passieren einfach.
FRIZZ: Mal abgesehen vom kommerziellen Erfolg, haben deine Songs auch das Leben vieler Menschen begleitet. Wie fühlt sich das an? Ist das nur Ehre oder manchmal auch eine Bürde?
Midge Ure: Ach, „Bürde“ würde ich nicht sagen. Plattenfirmen würde es lieben, wenn man in der Lage wäre, die eigenen Hits aus der Vergangenheit wieder und wieder zu schreiben, wenn sie also eine Art „Hitformel“ haben könnten. Mich berührt es natürlich sehr, wenn mir Leute sagen, dass mein Song bei ihrer Hochzeit gelaufen ist oder ihnen ein Track von mir durch eine schwee Zeit geholfen hat. Diese großen emotionalen Momente mit meiner Musik begleiten zu dürfen, ist wunderbar. Aber genau dafür ist Musik auch da – dich mit bestimmten Momenten im Leben immer wieder zu verbinden. Aber es ist völlig unabsehbar, wann ein Stück Musik für einen Menschen eine Rolle im Leben spielt. Auch das kann man überhaupt nicht „planen“. Ich schreibe ja in erster Linie für mich und über meine Gefühle. Deswegen kann ich auch nicht für andere Künstler schreiben. Das ist nicht meine Welt.
FRIZZ: 2004 hast du deine Autobiografie mit dem Titel „If I Was…“ veröffentlicht. Etwas verfrüht, wie ich finde – du bist immer noch überaus aktiv und vor allem durch die Wiedervereinigung mit Ultravox dürften dieser Biografie noch einige Kapitel hinzugefügt werden. Wie werden diese in etwas aussehen, was denkst Du?
Midge Ure: Die gibt es bereits. Wir bringen das Ganze noch mal als eBook raus und natürlich habe ich das Buch um die neuen Erlebnisse, wie das zweite Live Aid ergänzt. Im Grunde schreibt sich so eine Autobiografie fort, bis zu dem Tage an dem man stirbt. Als ich das Buch damals veröffentlichte, hätte ich nie gedacht, dass ich wieder mit Ultravox auf einer Bühne stehen würde. Mittlerweile habe ich gelernt, dass man niemals nie sagen sollte. Aber wie die nächsten Kapitel aussehen werden, wie es von hier aus weitergehen wird – da habe ich keine Idee. Es gibt so viele Möglichkeiten, ich lasse mich einfach überraschen.
FRIZZ: Vielen Dank für das Gespräch.
Ultravox - "Hymn" (Live)
Ultravox - "Hymn" (Live)
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