Jetzt weiß ich endlich, was Globalisierung ist. Wenn man im Urlaub 3000 km weit weg ist und trotz megageilem Sandstrand und Sonne und Party pur die Stimmung verhagelt ist. Weil mein Vater flucht und ständig versucht, die neuesten Aktienkurse rauszukriegen. Mit dem Handy. Am Strand. Wegen der weltweiten Finanzkrise. Was interessiert dich denn die Finanzkrise, hab ich meinen Vater gefragt, du hast doch sowieso nie Geld, sagst du jedenfalls, wenn ich mal was haben will. Aber stimmt ja gar nicht. Er hat ja die Abfindung gekriegt. Und in Aktien angelegt. Den Teil jedenfalls, den wir nicht für den Urlaub gebraucht haben.
Und jetzt, wo wir wieder zurück sind, ist er noch hektischer. Weiß nicht, ob er verkaufen soll. Oder halten. So heißt das, wenn man nicht verkauft. Hab ich gelernt, ging gar nicht anders, Dauerthema. 50 € habe ich bezahlt für eine Software-Aktie, sagt mein Vater, jetzt ist sie gerade mal noch 30 € wert. Total im Keller. Wg. der Lilien aber nicht, sag ich und hoffe auf bessere Stimmung, weil die Lilien ja immerhin aus dem Keller raus gekommen sind. Hat mir meine Freundin erzählt.
Aber nix zu machen. Mein Vater ist total angefressen. Schimpft auf die Bänker. Macht ohne Verantwortung, sagt er. Wurde Zeit, dass der Staat endlich eingreift. Und dann erzählt er was von ideellem Gesamtkapitalist oder so ähnlich, und dass es Zeit ist, die Weltwirtschaft neu zu ordnen. Ich blicks sowieso nicht, obwohl wir in der Schule in PoWi auch gerade drüber reden.
400 Milliarden Euro für die Rettung der Banken, sagt mein Vater, ein Wahnsinn.
So wahnsinnig wie die Ypsilanti. Die wird nie Ministerpräsidentin und blickts nicht, sagt er. Der Walter ist cleverer, zieht sich aus allem raus, damit er sie beerben kann, wenn sie am 4. November die Simonis gibt. Dann freun sich der Koch und die ganze Wirtschaftsfraktion.
Steigen dann wieder deine Aktien, frag ich, aber er schüttelt nur geistesabwesend den Kopf und blättert die Echos durch. Macht er immer so nach dem Urlaub.
Tag der Vereine im Kongresszentrum, murmelt er vor sich hin. Friede, Freude, Eierkuchen. Aber dass das der wahre Grund ist, dass sie kein Geld mehr kriegen, merkt keiner. Hat der Steuerzahlerbund festgestellt, sagt er. Haushaltsloch in Darmstadt, brummelt er. Ein Loch neben der Goetheschule, wo mal eine Turnhalle war. Und kein Geld für eine neue. Aber demnächst der IT-Gipfel im Kongresszentrum, das ist Darmstadt.
Und der Alpenverein kriegt auch fast nix mehr für seine Kletterwand, flucht er und schmeißt die Zeitungen in den Papierkorb. In Darmstadt gibts doch gar keine Alpen, sag ich, und mein Vater guckt mich erstaunt an. Stimmt, sagt er, vielleicht sollten wir uns daran gewöhnen, dass es nicht mehr nach oben geht. Keine Gipfelwanderungen in den Alpen, sondern Klettertouren runter in die Löcher.
Bin ich froh, dass wir schon im Urlaub waren.