© Barbara Klemm/HMF
Historisches Museum Frankfurt
Alfred Hitchcock im Frankfurter Hauptbahnhof, 1972.
Irgendwo in ihrer geräumigen Handtasche sei „jederzeit mindestens mit einer kleinen Leica zu rechnen“, schrieb einst ein Kollege über sie. Da arbeitete Barbara Klemm längst für die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung, dokumentiert seit Beginn der Sechziger das Leben in der Mainmetropole fotografisch. Sie hat Geschichte festgehalten und mit ihren Bildern Geschichte geschrieben - ob es dabei um Weltpolitik ging, um bloße Zeitgenossenschaft oder ihr privates Umfeld. Wenn der Auftrag der Redaktion kam, konnte das Private schon deshalb schnell politisch werden, weil Klemm stets die Kamera in Händen hielt. Viele ihrer Straßen-, Stadt- und Menschenbilder aus aller Welt sind so entstanden, aber dass nun ausgerechnet ihre Frankfurt-Porträts nach Jahrzehnten so ikonisch nachwirken würden, damit hätte die gebürtige Karlsruherin wohl selbst nicht gerechnet.
Ihre Bilder der Frankfurter Studentenbewegung, von Adorno und Horkheimer, erlangten rasch nationale und internationale Bedeutung. Anders als ihre Redaktionskollegen, die unter ständigem Zeitdruck standen, interessierte sich die junge Frau für die Anliegen der Studierenden, blieb oft länger bei den Veranstaltungen und Debatten, erhielt so einen zwanglosen, differenzierteren Zugang. Die Fotos von der Blockade der Goethe-Universität im Mai 1968, den Demonstrationen zum Vietnamkrieg und gegen die Startbahn West sind von Nähe und Distanz gleichermaßen geprägt. Empathie trifft in Barbara Klemms Arbeiten stets auf Unbestechlichkeit.
© Barbara Klemm/HMF
Historisches Museum Frankfurt
Demonstration gegen den Vietnamkrieg in der Kaiserstraße, 1970.
Die Tochter des Künstlerpaares Fritz und Antonia Klemm kommt als 19-Jährige an den Main und sieht im Fotolabor ihres neuen, auflagenstarken Arbeitgebers zunächst kaum Tageslicht. Bald beginnt sie, selbst zu fotografieren. Stets ohne Blitz und Stativ. Menschen in Interaktion. Passanten und Prominente. Putzfrauen auf der Automobilmesse, Andy Warhol im Städel, Adorno mit Polizisten im Institut für Sozialforschung, Zechbrüder am Wasserhäuschen an der Galluswarte, eine von allen guten Geistern verlassene Janis Joplin in der Jahrhunderthalle - nichts an diesen Stillleben in bewegten Zeiten wirkt arrangiert. Selbst wenn Alfred Hitchcock mitsamt Europalette am Hauptbahnhof von einem Gabelstapler in die Höhe bugsiert wird, sieht es so aus, als hätte Klemm der Eitelkeit des weltbekannten Regisseurs nur ein wenig auf die Sprünge geholfen.
Unterwegs in der Welt, daheim in Frankfurt.
In der Hauptstadt des Wirtschaftswunders wie der westdeutschen Studentenbewegung entwickelte sie früh ihr fotografisches Können - das offene Interesse an Menschen, die empathische Haltung und ein sicheres Gespür für den Augenblick und die Komposition. Diese besondere Kombination machte sie im Juli 1969 schlagartig und unfreiwillig in Europa bekannt, als sie beim NPD-Bundestagswahlkampf den Auslöser drückte: das Bild der feisten, behelmten Nazi-Ordnerriege vor der Frankfurter Volksbühne druckte zuerst der Lokalteil ihrer Zeitung, danach Paris Match und der Observer. Die Fotostrecke wirkte: Sie trug dazu bei, dass die Partei an der Fünfprozenthürde scheiterte.
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Historisches Museum Frankfurt
Janis Joplin während ihres Auftritts in der Jahrhunderthalle Höchst, 1969.
Fast vierzig Jahre arbeitet sie für die Zeitung und ist mit ihrer freundlichen, interessierten Art und der kleinen Handtaschen-Kamera in der ganzen Welt unterwegs. Heute gilt die 83-Jährige als bekannteste deutsche Bildreporterin. Die Einzelausstellung mit 250 Fotos, die ihr das Historische Museum jetzt widmet, richtet erstmals einen Fokus auf jene Arbeiten, die in Klemms Heimatstadt entstanden sind. Untergliedert ist die Schau in neunzehn Bereiche, von der „Studentenbewegung“ über „Leben auf der Straße“ bis hin zu „Bühne und Baustelle“. Ganz nebenbei dokumentiert sie den städtebaulichen Wandel der Mainmetropole, die nicht Bundeshauptstadt werden durfte.
„Barbara Klemm - Frankfurt Bilder“ (Hrsg. Jan Gerchow) ist als 264-seitiger Ausstellungskatalog des Historischen Museums in Kooperation mit dem Steidl Verlag erschienen. Der Museums- und Buchhandelspreis beträgt 40 Euro. Die Ausstellung ist noch bis 1. April 2024 im Historischen Museum in Frankfurt unweit des Römerbergs zu sehen.
Weiterführende Infos halten die Internetseiten des Steidl-Verlags und des Historischen Museums Frankfurt bereit.